¡Romero vive!Zur Seligsprechung von Erzbischof Oscar Arnulfo Romero am 23. Mai 2015

„Romero lebt!“ Wo auch immer ich vor sieben Jahren bei einem Abstecher nach El Salvador hinkam, sein Konterfei war schon da: Óscar Arnulfo Romero y Galdámez (1917-1980) ist omnipräsent in dem kleinen mittelamerikanischen Land, das flächenmäßig dem Bundesland Hessen entspricht.

In der Hauptstadt San Salvador, wo Romero am 24. März 1980, während einer Messe, ermordet wurde, in Chalatenango, in Aguilares und El Paisnal, in Arcatao, Jayaque, Santa Tecla oder La Libertad an der Pazifikküste - wer schon einmal in El Salvador war, kann es bestätigen: Das Bild des Erzbischofs hängt in vielen Kirchen, es findet sich in Häusern und Hütten, auf Mauern, öffentlichen Gebäuden, auf Plakaten am Straßenrand, als Grafitto, tausendfach, oft neben dem Bild von Che Guevara in Kämpferpose.

Salvadorianer (jeder Konfession) verehren Romero als nationale Ikone. Für viele, nicht nur für die arme Bevölkerung, ist er längst San Romero de las Américas: Märtyrer und Schutzpatron Amerikas.

Als solchen hat ihn unser Redaktionsmitglied Michael Sievernich SJ in seinem Editorial im März dieses Jahres gewürdigt, zum 35. Todestag, als das Datum der Seligsprechung zwar noch nicht feststand, aber bekannt war, dass Papst Franziskus am 3. Februar 2015 das Votum des Theologenrats der vatikanischen Heiligsprechungskongregation bestätigt hatte, der am 9. Januar das Martyrium Romeros anerkannte: „Umso mehr wächst nun die Hoffnung, da ein Papst aus Lateinamerika die Sache der Armen weltkirchlich zur Chefsache gemacht hat. Die Zeit ist gekommen: Jetzt kann Papst Franziskus den salvadorianischen Erzbischof seligsprechen und damit den Ruf des Volkes erhören.“

„Aus verschiedenen Richtungen wurden Hindernisse in den Weg gelegt“

Am 23. Mai 2015 wird Monseñor Romero nun - endlich - (zusammen mit drei peruanischen Märtyrern) seliggesprochen. Der Gottesdienst soll auf der Plaza Salvador del Mundo im Zentrum der Hauptstadt San Salvador stattfinden und in ein nahegelegenes Stadion übertragen werden. Kardinal Angelo Amato SDB wird die Zeremonie vornehmen.

Die Seligsprechung ist ein wichtiges Signal der Hoffnung für Christen in Mittel- und Lateinamerika. Ein Ruhmesblatt für den Vatikan ist diese lange verschleppte Seligsprechung sicher nicht. Es bedurfte der Wahl des ersten Papstes aus Lateinamerika, des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio SJ, um Bedenkenträgern Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Seligsprechung war überfällig - wenn man bedenkt, wie schnell es bei anderen Persönlichkeiten der jüngsten Kirchengeschichte ging (Opus Dei-Gründer Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás oder Mutter Teresa) - von den „Santo subito“-Rufen beim Tod von Papst Johannes Paul II. ganz zu schweigen, der (2005 gestorben) 2011 selig- und 2014 heiliggesprochen wurde.

In seinem Editorial „Selig sein und seligsprechen“ schrieb Martin Maier SJ im März 2010: „Im Jahr 1990 wurde ein offizielles Seligsprechungsverfahren für Romero eingeleitet, das 1996 auf diözesaner Ebene abgeschlossen und nach Rom weitergeleitet wurde. Der damalige Erzbischof Arturo Rivera y Damas war zuversichtlich, daß sein Vorgänger im Jahr 2000 zu seinem zehnten Todestag seliggesprochen würde. Dies soll auch ein persönlicher Wunsch von Papst Johannes Paul II. gewesen sein. Doch aus verschiedenen Richtungen wurden und werden der Seligsprechung Romeros Hindernisse in den Weg gelegt.“

Die Angst, ein selig gesprochener Erzbischof, der Partei für die Armen und Unterdrückten ergriffen hat, könnte politisch instrumentalisiert werden, hatte sich offenbar als Bremsklotz für das Verfahren erwiesen. Für viele Menschen hinkt der kirchenrechtliche Akt hinter der seit Jahrzehnten andauernden Verehrung hinterher. Mario Funes, von 2009 bis 2014 amtierender Staatspräsident, hat Romero öffentlich als „Lehrer und Leitfigur“ bezeichnet: „Wir hoffen, daß sich die Dinge jetzt ändern, denn die ganze Welt weiß, wer Erzbischof Romero war; das Volk hat ihn schon heiliggesprochen, und es fehlt nur noch das Wort der Kirche.“

Anders als die katholische Kirche zeigten die Anglikaner weniger Berührungsängste: An der Westfassade der Westminster Abbey in London ist Oscar Romero zwischen Martin Luther King und Dietrich Bonhoeffer unter den „Märtyrern des 20. Jahrhunderts“ zu finden.

Die Episcopal Church in den USA nahm Romero - der zu Lebzeiten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden war - 2006 probeweise in ihren Kalender auf. Und Papst Johannes Paul II. bestand darauf, Romero im Jubiläumsjahr 2000 eigens zu erwähnen.

Breite Beachtung fand Romeros Schicksal schon 1989, als er Thema eines US-Kinofilms von Regisseur Oliver Stone mit Raúl Juliá in der Hauptrolle wurde: „Salvador“.

Option für die Armen

Anders als andere Bischöfe, die sich schwer taten, die „Option für die Armen“, die in Lateinamerika seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Zweiten Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats (CELAM) in Medellín (1968) zu massiven Spannungen geführt hatte, umzusetzen, ergriff Romero konsequent Partei für Arme und Unterdrückte und forderte politische Reformen ein. Er rechnete mit seinem Tod. Einen Tag vor seiner Ermordung appellierte er in seiner letzten Predigt in der Kathedrale von San Salvador an Armeeangehörige: „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt. Einem amoralischen Gesetz ist niemand unterworfen. Es ist an der Zeit, dass ihr euer Gewissen wiederentdeckt und es höher haltet als die Befehle der Sünde. Die Kirche, Verteidigerin der göttlichen Rechte und Gottes Gerechtigkeit, der Würde des Menschen und der Person, kann angesichts dieser großen Gräuel nicht schweigen.“

Am Tag darauf, am 24. März 1980, wurde er während eines Gottesdienstes von einem Auftragskiller erschossen. Romeros Tod wurde zum Auftakt des Bürgerkriegs, der zwölf Jahre dauern und 75.000 Tote (davon 70.000 Zivilisten) fordern sollte. „Wenn sie mich töten, werde ich im salvadorianischen Volk auferstehen“, meinte Romero, als er Todesdrohungen erhielt: „Ein Bischof wird sterben, aber die Kirche, die das Volk ist, wird niemals untergehen.“

Neun Jahre nach Romeros Tod wurden am 16. November 1989 auf dem Campus der Zentralamerikanischen Universität (UCA) sechs Jesuiten, ihre Köchin und deren 15-jährige Tochter in einer von langer Hand geplanten Kommandoaktion bestialisch ermordet. Einige von ihnen galten als das intellektuelle Gehirn der linksgerichteten Guerilla, die sich 1980 im „Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional“ (FMLN) zusammengeschlossen hatte. Seit 2009 ist der FMLN Regierungspartei und stellt den Präsidenten.

Märtyrer für Glaube und Gerechtigkeit

Für die „Stimmen der Zeit“ hat Monseñor Romero auch aus persönlichen Gründen Bedeutung: Martin Maier SJ, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift von 1998 bis 2009, wurde während seiner Doktoratsstudien im November 1989 Zeuge des Massakers an der UCA. Im Jahr 2001 erschien in der Reihe „Meister der Spiritualität“ eine Biografie Romeros aus seiner Feder, die er 2010 aktualisiert hat.

Außerdem erinnerte er in verschiedenen Beiträgen in den „Stimmen der Zeit“ immer wieder an den Erzbischof: „Gefährliche Erinnerung an Oscar Romero“ (März 2000: 208-211), „Erzbischof Romeros Kirchenkonflikte“ (März 2005: 198-210) sowie „Selig sein und seligsprechen“ (März 2010: 145-146). Sein Freund Jon Sobrino SJ, der ein enger Freund und Berater von Romero war, erinnerte im November 2009 an das Attentat auf seine Mitbrüder, die für ihn „Märtyrer für Glaube und Gerechtigkeit“ waren.

„Adveniat“ publizierte zum 30. Todestag von Oscar Romero im Jahr 2009 ein Sonderheft, das im Internet frei zugänglich ist.1

Sein ein jüngstes Buch „Entschiedenheit und Widerstand“ beendet der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff mit einem „Epilog: Dank an die Märtyrer“. Er schreibt, dass „das Gedenken an die Märtyrer eine heilende Kraft für die Gemeinschaft - eines Volkes, der Kirchen oder einer Ordensfamilie (besitzt). Bei allem Versagen wichtiger Institutionen, wie des Staates oder der Kirchen, erinnern die Märtyrer doch daran, dass es in ihnen auch Menschen gab, die nicht den bequemen Weg der Anpassung gingen, sondern die andere Möglichkeit des Widerstands wählten. Von der Erinnerung an ihren Mut und ihre Bereitschaft, dafür in den Tod zu gehen, geht eine heilende und versöhnende Kraft aus, die erst in der Rückschau erkannt wird.“2

¡Romero vive! Die Seligsprechung ist auch ein Beweis dafür, dass Papst Franziskus ein Gespür für den Geist hat, der in unserer Zeit weht - und für das, was die Menschen bewegt, für die, nicht nur in El Salvador, schon immer klar war und jetzt kirchenamtlich bestätigt wird: Romero lebt! Aber nicht nur im liturgischen Gedächtnis der Kirche „zur Ehre der Altäre“, sondern mitten unter seinen Landsleuten und allen, die sich heute um Glaube und Gerechtigkeit mühen.

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