Finanztransaktionssteuer: "Steuer gegen Armut" in der Eurozone

Es ist wenig überraschend, wenngleich bedauerlich: Der G-20-Gipfel in Toronto am 26./27. Juni 2010 machte unmißverständlich deutlich, daß die Finanztransaktionssteuer global nicht durchsetzbar ist. Zu unterschiedlich sind weltweit die Bankensysteme, zu unterschiedlich die Probleme, die entsprechend in der Folge der Krise entstanden sind.

Die Kampagne "Steuer gegen Armut" nahm am 17. Oktober 2009 ihre Arbeit auf. Sie entstand auf dem Hintergrund des Eindrucks, die Politik tue nicht genügend, um den Finanzsektor an den Folgekosten der durch ihn verursachten Weltwirtschaftskrise zu beteiligen. In einem Offenen Brief trugen damals 32 Organisationen zwei Forderungen an die Bundesregierung heran: die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen (um z. B. Spekulation unattraktiver zu machen) und die Verwendung der so eingenommenen Mittel, um unter anderem die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele sicherzustellen (vgl. dazu in dieser Zeitschrift 223, 2005, H. 7, S. 433-434: Johannes Müller SJ, "Millenniumsziele der Vereinten Nationen").

"Steuer gegen Armut" entwickelte eine unerwartete Dynamik: Innerhalb von nur drei Wochen unterstützten 55 000 Bürgerinnen und Bürger die Forderungen der Kampagne durch das Mitzeichnen einer Petition an den Bundestag, heute hat sich die Anzahl der Trägerorganisationen auf 64 verdoppelt - darunter alle Parteien der Opposition! Seit dem 21. Mai ist zumindest die erste Forderung der Kampagne, nämlich die Einführung der Finanztransaktionssteuer, offizielle deutsche Regierungspolitik.

Erfreulich war aus Sicht der Kampagne, daß noch in Toronto Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy bekräftigten, die Einführung einer solchen Steuer nun im europäischen Rahmen voranzutreiben.

Idealerweise wären hierbei die Finanzplätze London und Zürich einzubeziehen. Wenn dies aber nicht gelingt, was etwa der Regierungswechsel in Großbritannien erwarten läßt, ist es immer noch sinnvoll, diese Steuer "nur" innerhalb der Eurozone einzuführen.

Dabei würden zum Beispiel Transaktionen und Spekulationen mit dem Euro und auf ihm basierenden Wertpapieren mit einer Steuer in Höhe von etwa 0,05 Prozent belegt. Die Behauptung, daß es zu Fluchtbewegungen aus der Eurozone käme oder daß die globalen Kapitalströme wegen einer solchen Ministeuer einen Bogen um eine der attraktivsten globalen Wirtschafts-, Investitions- und Handelsregion machen würden, ist wissenschaftlich widerlegbar und auf die nachvollziehbare Panikmache der Finanzlobby zurückzuführen. Hier ist aber Finanzminister Wolfgang Schäuble zuzustimmen, der schon beim Verbot von ungedeckten Leerverkäufen am 20. Mai 2010 sagte: "Wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man nicht die Frösche fragen." Ebenfalls erfreulich aus Sicht der Kampagne: Auch wenn eine Finanztransaktionssteuer zwischen 0,1 und 0,01 Prozent nur für die Eurozone eingeführt wird, so ist mit Einnahmen im zweistelligen Milliardenbereich zu rechnen.

Vor diesem Hintergrund ist das primäre Anliegen der Kampagne inzwischen nicht mehr ihre erste Forderung, nämlich die Einführung der Finanztransaktionssteuer, denn: An eine schnelle Einführung der Steuer im G-20-Kontext hat ohnehin niemand geglaubt. Nun aber, im europäischen Kontext, ist die Steuer politisch durchsetzbar.

Anders gesagt: Von einer utopischen Vision ist die Kampagnenforderung im Bereich der Realpolitik angekommen. Der Haken dabei ist aber, daß die europäischen Regierungen die Steuer aus anderen Gründen befürworten als die Kampagne: Den Regierungen geht es um die Sanierung staatlicher Budgets und das Anfüllen von Krisenfonds im Hinblick auf die nächste Bankenkrise; der Kampagne "Steuer gegen Armut" geht es um die Durchsetzung der Millenniumsziele und um nationale und internationale Armutsbekämpfung.

Es ist deshalb absehbar, daß es an diesem entscheidenden Punkt in den nächsten Monaten zu harten Auseinandersetzungen zwischen der Regierungskoalition und der Kampagne, ihren Unterstützern in der Zivilgesellschaft und all jenen Bürgerinnen und Bürgern kommen wird, die sich über die Petition und Mitmachaktionen auf Facebook oder der Website (‹www.steuer-gegen-armut.org›) mit den Forderungen der Kampagne solidarisiert haben.

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