Für eine arme Kirche!Der Katakombenpakt von 1965 als Beispiel der Entweltlichung

Kurz vor Abschluß des Konzils trafen sich am 16. November 1965 etwa 40 Bischöfe in den Domitilla-Katakomben in Rom. Sie verpflichteten sich, in ihren Diözesen für eine dienende, arme Kirche einzutreten. Thomas Fornet-Ponse, Referent an der Akademie der Diözese Hildesheim in Goslar, beschreibt Inhalt und aktuelle Bedeutung des "Katakombenpaktes".

Seitdem Papst Benedikt XVI. in seiner Rede am 25. September 2011 im Konzerthaus in Freiburg im Breisgau bei der "Begegnung mit engagierten Katholiken aus Kirche und Gesellschaft" für die "wahre Entweltlichung" der Kirche plädiert hat, wird darüber diskutiert, was genau unter "Entweltlichung" zu verstehen ist1. Denn während die Forderung nach Entweltlichung vielfach als berechtigt angesehen wird, werden doch ganz unterschiedliche Konsequenzen daraus gezogen. So wurden einerseits die Aufgabe des deutschen Kirchensteuerwesens und/oder die Abschaffung der Staatsleistungen gefordert sowie, damit verbunden, die zahlreichen Institutionen der katholischen Kirche in Deutschland und anderswo in Frage gestellt. Auf der anderen Seite unterstützt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, das Anliegen der Entweltlichung, sieht aber keine Aufforderung zu einer "grundstürzend neue(n) Verfassung" und entsprechend auch nicht zur Abschaffung der Kirchensteuer, zumal diese kein Privileg, sondern "die institutionelle Ausgestaltung der Religionsfreiheit"2 sei.

Auch von evangelischer Seite wurde das Stichwort mit Zustimmung aufgenommen und mit nochmals anderen Folgerungen verbunden:

"Eine Kirche, die sich der Welt chamäleonartig anpaßt, verliert ihre Freiheit und Unabhängigkeit und kann nicht Salz der Erde und Licht der Welt sein."3

Die Entweltlichung sei weiterzudenken und betreffe auch die hierarchisch-sakramentale Verfassung der Kirche, die aus evangelischer Sicht nicht konstitutiv für das Kirche-Sein sei. Hier soll es aber weder darum gehen, einen weiteren Beitrag zur Debatte um das deutsche Kirchensteuerwesen oder andere strukturelle Fragen zu leisten. Noch können die ganz unterschiedlichen Facetten der Entweltlichung - vom damit verbundenen Kirchenbild über die konkrete Ausgestaltung des Weltauftrags der Kirche (vor allem auf der Basis von "Gaudium et spes") bis hin zum Verhältnis von Staat und Kirche oder der Angemessenheit des Begriffs selbst - betrachtet werden.

Vielmehr soll ein Aspekt herausgegriffen werden, indem gezeigt wird, welche Konsequenzen die Entweltlichung der Kirche für ihr Verhältnis zum Reichtum hat. Als bedeutendes und richtungweisendes Beispiel einer solchen Entweltlichung wird der von etwa 40 Bischöfen am 16. November 1965 geschlossene Katakombenpakt vorgestellt.

Die Entweltlichung der Kirche und ihre Konsequenzen

Wenngleich Benedikt XVI. keine konkreten Vorschläge nennt, mit denen seine Forderung der Entweltlichung der Kirche umgesetzt werden könnte, lassen sich seiner Rede und früheren Schriften einige Perspektiven entnehmen. Dies zeigt sich schon an seiner Diagnose, es gebe neben dem fortwährenden Dienst an der vom Herrn empfangenen Sendung auch die Tendenz, "daß die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht"4. In diesem Fall trete die Berufung zur Offenheit auf Gott hinter ihre Organisation und Institutionalisierung zurück.

Entweltlichung in diesem Sinne bedeutet also zunächst einmal die Offenheit der Kirche auf Gott und die Freiheit der Kirche von weltlichen Maßstäben und Verhaltensweisen. "Welt" ist hier - wie bei den frühen Überlegungen Joseph Ratzingers vor und während des Zweiten Vatikanums5 - im Sinne entsprechender neutestamentlicher Aussagen zu verstehen. Neben der zentralen Stelle Joh 17,16 ist dies insbesondere die Mahnung des Paulus aus dem Römerbrief an die Christen, sich nicht der Welt anzugleichen, sondern sich zu wandeln und ihr Denken zu erneuern, um den Willen Gottes zu erkennen: "Die erstrebte Unterscheidung im Geist erstreckt sich vornehmlich auf die Abhebung falscher von richtiger Sorge in der Welt (vgl. Lk 12, 22-32; Mt 6, 25-33)."6 Dem Glaubenden soll es zunächst und zumeist darum gehen, das Reich Gottes in allen Dingen zu suchen und zu finden sowie des eschatologischen Vorbehalts und der eschatologischen Ausrichtung des christlichen Glaubens eingedenk zu sein. Dann können sie tatsächlich "Salz der Erde" und "Licht der Welt" sein. Sie sollen sich nicht aus der Welt zurückziehen, sondern in ihr aus der Offenheit auf Gott leben und wirken: "Was es heißt, Kirche in der Welt zu sein, hat der Papst in der Freiburger Rede allerdings kaum entfaltet."7

Der Papst beschränkt sich aber nicht darauf, von der Offenheit der Kirche auf Gott zu sprechen, sondern nimmt im Rekurs auf die Säkularisierungen explizit auch den Reichtum der Kirche in den Blick (gemeint ist unter anderem die Säkularisation von 1803). Die materiellen Bindungen der Kirche sind ein zentrales Element der Verweltlichung nach Benedikt XVI. - und korrespondierend dazu die weltliche Armut als Ausdruck der Entweltlichung. Sein Vergleich mit dem Stamm Levi, der ohne eigenes Erbland blieb, kann als Hinweis darauf verstanden werden, wie radikal diese weltliche Armut zu verstehen ist. Die Entweltlichung als Lösung von materiellen Bindungen hat nach Benedikt XVI. in zahlreichen geschichtlichen Beispielen das missionarische Zeugnis der Kirche klarer werden lassen:

"Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben."8

Dies sei möglich, weil die missionarische Sendung der Kirche, die Menschen zu Gott und damit zu sich selbst zu führen, in einer entweltlichten Kirche nicht mit dem Bemühen einer Institution verwechselt werden könne, Unterstützung für ihre eigenen Machtansprüche zu erhalten. Ähnlich, aber anders akzentuiert, hatte Joseph Ratzinger in einem ursprünglich 1958/59 erschienenen Beitrag geschrieben, es sei verständlich, heute danach zu fragen, ob die Kirche angesichts einer neuzeitlichen Kirche, die aus Heiden bestehe, die sich zwar noch Christen nennten, aber eigentlich Heiden geworden seien, nicht wieder eine Überzeugungsgemeinschaft werden solle:

"Das würde bedeuten, daß man auf die noch vorhandenen weltlichen Positionen rigoros verzichtet, um einen Scheinbesitz abzubauen, der sich mehr und mehr als gefährlich erweist, weil er der Wahrheit im Wege steht."9

Auch wenn die Kirche damit wertvolle Vorteile verlöre, die sie aus ihrer heutigen Verflechtung mit der Öffentlichkeit zöge, sei es nötig, diese äußeren Positionen zurückzunehmen, da dieser Prozeß auch ohne ihre Zustimmung stattfände. Dabei seien die Ebenen des Sakramentalen, der Glaubensverkündigung und des persönlichen Verhältnisses zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu unterscheiden. Die Kirche sei zwar von der kleinen Herde zur Weltkirche geworden und habe sich seit dem Mittelalter im Abendland mit der Welt gedeckt, aber diese Deckung sei nur noch Schein und dieser Schein behindere die Kirche bei ihrem missionarischen Wirken:

"So wird sich über kurz oder lang mit dem oder gegen den Willen der Kirche nach dem inneren Strukturwandel auch ein äußerer, zum pusillus grex [kleinen Herde], vollziehen."10

Während Ratzinger in diesem Beitrag den Akzent auf den Glauben der Christen setzt und die Entweltlichung der Kirche aus dieser Perspektive als notwendigen Prozeß ansieht, der letztlich zu einer geringeren Zahl überzeugter Christen führe, die dadurch aber ihr missionarisches Wirken stärker entfalten könnten, verbindet er nicht nur in der Freiburger Konzerthausrede dieses missionarische Wirken viel direkter mit der weltlichen Armut; schon in einem anderen frühen Beitrag zog er den Umkehrschluß, wirklich missionarisch kann nur eine entweltlichte, also arme Kirche sein:

"Erst in dieser Armut einer entweltlichten Kirche, die sich zur Welt geöffnet hat, um sich von ihrer Verstrickung zu lösen, wird auch ihr missionarisches Wirken wieder vollends glaubhaft werden und sich wieder unübersehbar von jeder Interessenvertretung weltlicher Mächte unterscheiden: Sie wirbt nicht für sich, sondern für den, dessen Los sie gezogen hat"11.

Eine Kirche, die ihre materiellen, politischen und ähnliche Bindungen aufgibt, ohne sich sektiererisch nur auf sich selbst zu beziehen, zieht sich nicht aus der Welt zurück, sondern kann wahrhaft Zeichen und Zeugnis der Verbundenheit der Kirche mit den Menschen sein - in der Nachfolge Christi, der ebenfalls keine weltlichen Privilegien gesucht hat, sondern den Mächtigen seiner Zeit kritisch und mit dem Aufruf zur Umkehr gegenübergetreten ist. In dieser Nachfolge teilt eine arme Kirche das Los derer, an die sich die Reich-Gottes-Botschaft Jesu direkt wendet und die im Zentrum seiner Verkündigung und seiner Taten standen: der Armen und Benachteiligten.

Die weltliche Armut ist aber nur ein Teil - und vermutlich für den Papst nicht der wichtigste, wenn man seine Äußerungen in Freiburg vor dem Hintergrund seiner früheren Gedanken liest - der Entweltlichung. Es geht ihm gerade auch um die totale Redlichkeit des Glaubens, der das abstreifen solle, "was nur scheinbar Glaube, in Wahrheit aber Konvention und Gewohnheit ist"12. Der Skandal des christlichen Glaubens an die Zuwendung Gottes zu den Menschen, das Leiden und Sterben Christi und die Auferstehung der Sterblichen dürfe nicht von anderen Skandalen der Glaubensverkünder verdeckt und unzugänglich gemacht werden. Auch hierzu kann nach Benedikt XVI. die Entweltlichung dienen, die auch im sozial-karitativen Bereich hilfreich sein könne, um "den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens zu vermitteln"13. Der karitative Dienst sei ein Wesensausdruck der Kirche, aber diese Werke müßten sich ebenfalls immer neu entweltlichen, damit mit Blick auf eine steigende Entkirchlichung ihre Wurzeln lebendig blieben. Denn eine vollwertige Zuwendung zum Mitmenschen sei nur aus einer tiefen Beziehung zu Gott möglich und diese verkümmere ohne Zuwendung zum Nächsten.

Entweltlichung heißt also nach Benedikt XVI. zunächst allgemein die Offenheit auf Gott, die sich dann ausdifferenzieren läßt in die weltliche Armut und vor allem ein Leben aus dem redlichen Glauben an Gott heraus, das sich nicht den Bedingungen dieser Welt unterwirft, ohne sich den Anliegen der Welt zu verschließen. Vielmehr hat die entweltlichte Kirche "die Herrschaft der Liebe Gottes nach dem Evangelium durch Wort und Tat hier und heute zu bezeugen"14, was über die gegenwärtige Welt auf die Verbundenheit mit dem Ewigen Leben verweist.

Der Aufruf des Papstes zur Entweltlichung der Kirche kann also neben seiner Konzentration auf den Glauben auch als Aufruf zu einer armen Kirche verstanden werden, die sich nicht in die Politik verstrickt - ohne dabei eine entpolitisierte Kirche zu sein - und ihrer Berufung zum Dienst an Gott und den Nächsten folgt. Genau diese Aspekte gehören zu den wesentlichen Selbstverpflichtungen der Bischöfe, die den Katakombenpakt geschlossen bzw. sich ihm später angeschlossen haben.

Der Katakombenpakt

Der sogenannte "Katakombenpakt"15 bezeichnet die von vierzig zunächst ungenannten Bischöfen (denen sich später 500 weitere anschlossen) am 16. November 1965 in den Domitilla-Katakomben in Rom unterzeichneten Selbstverpflichtungen für eine dienende und arme Kirche, mit denen sie versprachen, nach ihrer Rückkehr vom Konzil ihr Leben und ihre kirchliche Tätigkeit grundlegend zu ändern.

Diese Bischöfe, zu denen unter anderen Dom Hélder Câmara gehörte, bildeten während des Konzils eine Gruppe mit dem Namen "Kirche der Armen", deren Bildung sich vor allem drei Impulsen verdankt haben dürfte: Zum einen der Radioansprache Johannes XXIII. vom 11. September 1962, in der er sagte, die Kirche erweise sich gegenüber den unterentwickelten Ländern als Kirche aller, vornehmlich als die Kirche der Armen. Zum zweiten dem Aufruf aus Nazareth (Paul Gauthier und seine "Bruderschaft der Gefährten des Zimmermanns Jesus von Nazareth", unterstützt von Erzbischof Maximos V. Hakim aus Nazareth und dem belgischen Bischof Charles-Marie Himmer) an die Bischöfe, die Verbindung der Kirche zu den Armen zu betrachten. Schließlich der provozierenden Studie "Für eine dienende und arme Kirche" Yves Congars OP. Dom Hélder Câmara schrieb über die Motivation dieser Gruppe in seinen Konzilsbriefen:

"Wir haben mit einer Gruppe von Freunden einen ausführlichen Plan ausgearbeitet, um mit diesem - und mit der Gnade Gottes - in den nächsten drei Konzilsjahren die Heilige Kirche auf die verloren gegangenen Wege der Armut zu führen."16

Mit Rücksicht auf ihre Mitbrüder und aus Vorsicht vor Selbstgerechtigkeit wollten sie keine spektakuläre Geste vollführen, sondern geduldig für die Reform von innen arbeiten. Zu den wenigen spürbaren Ergebnissen ihrer Bemühungen, die Aufmerksamkeit der Reflexion des Konzils auf die Armen zu lenken, zählt eine Passage aus der Kirchenkonstitution "Lumen gentium", in der die Armut der Kirche bzw. ihre Berufung dazu, den Weg Christi in Armut und Verfolgung einzuschlagen, unterstrichen wird. Entsprechend der Selbstentäußerung Christi "ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht errichtet, um irdische Ehre zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten" (LG 8). Der Einfluß dieser Gruppe auf das Konzil war also sehr begrenzt; die große Mehrheit der Bischöfe scheint nicht daran interessiert gewesen zu sein, sich dem Problem der Armut zu widmen. Dies dürfte erklären, wieso es in der Einleitung der Selbstverpflichtungen einerseits heißt, den Bischöfen sei klar geworden, was ihnen zu einem Leben in evangelischer Armut fehle, und warum andererseits betont wird, sie wollten nicht als Einzelgänger und selbstgerecht handeln, sondern wüßten sich in Einheit mit ihren bischöflichen Mitbrüdern.

Die Selbstverpflichtungen selbst betreffen die Lebens- und Amtsführung der Bischöfe und beginnen damit, hinsichtlich Wohnung, Essen, Verkehrsmittel usw. so leben zu wollen wie die gewöhnliche Bevölkerung. Es folgen zwei bedeutende Verzichtserklärungen:

"2. Wir verzichten ein für allemal auf jeden Anschein des Reichtums wie auf tatsächlichen Reichtum, speziell in unserer Amtskleidung (teure Stoffe, auffallende Farben) sowie in unseren Amtsinsignien (kostbares Material). Diese Insignien müssen wahrhaft und wirklich dem Evangelium gemäß sein (vgl. Mk 6,9; Mt 10,9; Apg 3,6).

3. Wir wollen weder Immobilien noch Möbelausstattungen noch Bankkonten usw. auf unseren eigenen Namen besitzen; und wenn sich ein Besitzverhältnis ergibt, werden wir alles auf den Namen der Diözese oder der sozialen und karitativen Werke schreiben lassen (vgl. Mt 6, 19-21; Lk 12, 33-34)."17

Des weiteren soll die Finanz- und Vermögensverwaltung der Diözese in die Hände eines fachkundigen Laiengremiums gelegt werden, damit sie selber Hirten und Apostel sein können; sie wollen nicht mit Bedeutung oder Macht bezeichnenden Titeln wie Eminenz, Exzellenz, Monsignore angeredet werden, sondern mit "Vater". Auch wollen sie in ihrem Verhalten und ihren sozialen Beziehungen jeden Anschein vermeiden, sie privilegierten die Reichen und Mächtigen, ferner niemandes Eitelkeit schmeicheln oder fördern, um sich für Geschenke zu bedanken oder welche zu erhalten. Alles Erforderliche an Zeit, Gedanken, Überlegungen, Sorge, materiellen Mitteln usw. soll dem apostolischen und pastoralen Dienst an den Bedrängten, wirtschaftlich Schwachen und Unterentwickelten zugute kommen, ohne den anderen Personen der Diözese zu schaden, sowie die Werke der Wohltätigkeit sollen in soziale Werke umgewandelt werden. Sie wollen sich bei der Regierung und den öffentlichen Diensten für Gesetze, Strukturen und Institutionen einsetzen, die für Gerechtigkeit, Gleichheit und die harmonische Entwicklung aller Menschen notwendig sind.

Die Kollegialität der Bischöfe entspräche dann am besten dem Evangelium, wenn sie gemeinschaftlich der Mehrheit der Menschen dienten, weshalb sie mit den Episkopaten armer Nationen dringende Projekte verwirklichen und auf der Ebene der internationalen Organisationen das Evangelium bezeugen und für entsprechende wirtschaftliche und kulturelle Strukturen eintreten wollen. Schließlich wollen sie das Leben ihrer Geschwister in Christus teilen (u. a. mehr im Geist anregen als im Sinne der Welt führen) und ihren Diözesanen diese Verpflichtungen bekanntmachen und sie um ihre Unterstützung bitten.

Wenngleich die Gruppe das Erhoffte im Konzil nicht durchsetzen konnte, hatte sie "durch diese gemeinsam vereinbarten Selbstverpflichtungen eine tief reichende spirituelle und prophetische Wirkung"18. Zunächst ist die Enzyklika "Populorum Progressio" zu nennen, die Papst Paul VI. auf Drängen Dom Hélder Câmaras 1967 veröffentlichte und die wiederum zu einer Erklärung mehrerer Bischöfe mit dem Titel "Plädoyer für die Dritte Welt" führte, in der unter anderem das herrschende ökonomische System und die Verbindung von Kirche und Geld kritisiert werden. Auf der zweiten Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín 1968 konnte schließlich ein Dokument zur "Armut der Kirche" beschlossen werden, in dem es heißt, eine arme Kirche klage den ungerechten Mangel an, predige und lebe die geistliche Armut und verpflichte sich selbst zur materiellen Armut: "Damit waren die Themen des Katakombenpaktes zum Bestandteil des kirchlichen Lehramtes einer kontinentalen Ortskirche in der katholischen Kirche geworden."19 Diese Linie wurde auch auf den nachfolgenden Generalversammlungen - in Puebla 1979, Santo Domingo 1992 und zuletzt 2007 in Aparecida - bestätigt und zudem christologisch fundiert:

"Alles, was mit Christus zu tun hat, hat mit den Armen zu tun, und alles, was mit den Armen zu tun hat, ruft nach Jesus Christus."20

Ist eine arme Kirche möglich?

Die Vision einer armen und dienenden Kirche, die sich so im Katakombenpakt abzeichnet, besteht insbesondere darin, das Los der Menschen zu teilen, die sie umgeben, und ihnen gegenüber nicht als reich, mächtig oder privilegiert gegenüberzutreten. Zumal der Hinweis auf die evangelische Armut in der Hinführung zu den Selbstverpflichtungen macht deutlich, worin die Armut besteht: nicht im Verzicht um des Verzichtes oder der Askese um der Askese willen, sondern in der richtigen Einstellung gegenüber materiellen Dingen, nämlich dem Verzicht auf eigenen Besitz oder sogar Reichtum zugunsten der Beschränkung auf den Gebrauch der notwendigen Güter. Zudem ist diese eigene Armut verbunden mit der pastoralen Tätigkeit und dem Einsatz für Gerechtigkeit.

Dem entsprechen neben der Verpflichtung, jeden Eindruck einer privilegierten Behandlung von Reichen und Mächtigen zu vermeiden, besonders die Verpflichtungen, nicht durch Insignien, Titel oder ähnliches als gemäß weltlichen Maßstäben reich und mächtig aufzutreten, sondern die Lebensweise der einfachen Menschen zu teilen, oder Verantwortung insbesondere im Bereich der Finanz- und Vermögensverwaltung an ein fachkundiges Laiengremium abzugeben, um sich besser auf den Auftrag als Hirte und Apostel konzentrieren zu können. Eine solche Vision einer armen und den Menschen dienenden Kirche führt zur Frage, ob und wie sie umgesetzt werden kann - und welche Hindernisse diesbezüglich bestehen.

Karl Rahner SJ hat sich mit dieser Frage schon wenige Jahre nach dem Zweiten Vatikanum auseinandergesetzt und spricht von einer "Unfähigkeit zur Armut in der Kirche"21. Hierzu unterstreicht er zunächst die doppelte Bedeutung von Armut im Neuen Testament: Einerseits ist sie ein Mangel, der bekämpft werden soll, anderseits ermöglicht sie die wahre Gottesbeziehung. Rahner setzt damit eine Dialektik von Armut und Reichtum voraus, da wir zum einen auch deswegen reich sind, weil die Armen, deren Armut nicht sein soll, arm sind. Zum anderen bedeutet der Reichtum nach Jesus für den Menschen die Gefahr, in den Sorgen der Weltzeit aufzugehen und damit "nicht jene radikale Freiheit des Herzens und aller seiner Kräfte (zu) besitz(en), die für den ungeteilten Empfang des Reiches notwendig sind"22. Zwischen beiden Bedeutungen von "Armut" besteht zumindest der Zusammenhang, daß die freiwillige Armut dabei helfen soll, die Armut der anderen zu beseitigen (oder zumindest zu lindern). Wenn die Kirche angesichts dessen Gerechtigkeit für die Armen predigen soll, steht zunächst der Wille im Vordergrund, die nicht sein sollende Armut zu beseitigen. Da dies aber erfordert, selber auf Güter zu verzichten, ist damit auch der Wille zur eigenen Armut verbunden. Allerdings sieht Rahner die Predigt der Kirche als ziemlich unwirksam an, weil es eine Unfähigkeit zur Armut in der Kirche (bei Klerus und Laien) gebe - ähnlich wie in der profanen Gesellschaft. Der Kirche werde es voraussichtlich nicht gelingen, durch ihre eigene Armut die Armut zu bekämpfen:

"Es ist heute noch eine Zeit der Unfähigkeit zur Armut in der Kirche gegeben: man könnte nur in der Kirche arm sein und arm sein wollen, wenn man diese 'Armut' erkennen würde als Voraussetzung zur Beseitigung der Armut in der unterentwickelten Welt. Diesen an sich gegebenen Impuls zur eigenen Armut aber sieht man faktisch in der Kirche als der großen Zahl der Gläubigen nicht in dem Maße, wie es notwendig wäre, um durch jene Armut diese zu beseitigen. Man sieht nicht, man will nicht sehen, man kann nicht sehen."23

Die Unfähigkeit zur Armut gründet nach Rahner in der fehlenden Bereitschaft der Mehrheit, mit den Forderungen des Evangeliums wirklich ernst zu machen. Wenngleich es angesichts der durch die Sünde geprägten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwänge nur sehr schwer zu sagen sei, wie der einzelne aus ihnen ausbrechen könne, ist er trotzdem dazu aufgerufen. Die Frage der Unfähigkeit zur Armut ist somit nicht nur an die Kirche, sondern an jeden einzelnen zu stellen: "Die Frage ist so von der Kirche an den einzelnen zurückgegeben, ob er auch - und vielleicht durch eine wahre Schuld vor Gott - zu reich sei, um den Armen wirklich zu helfen."24

Rahner stellt somit zum einen das dialektische Verständnis von Armut, das heißt die Wechselbeziehung von Armut und Reichtum, heraus sowie zum anderen die Gefahr, die im Reichtum steckt. Man kann dem Materiellen so sehr verhaftet sein, daß es Selbstzweck und nicht mehr als Mittel zur Verfolgung der Sendung Christi verstanden wird. Eine Folge davon ist die Unfähigkeit zur freiwilligen Armut, mit der die nicht sein sollende Armut als Mangel der Anderen bekämpft werden kann. Wenngleich Rahner vor allem den einzelnen Gläubigen in den Blick nimmt, gelten seine Ausführungen doch auch für die aus diesen bestehende Kirche, so daß dann auch von einer Unfähigkeit zur Armut der Kirche gesprochen werden kann.

Mit anderen Worten: Der materielle Reichtum (in) der Kirche birgt die Gefahr, eine entweltlichte und arme Kirche zu verhindern. Die Bischöfe, die den Katakombenpakt unterzeichneten, haben nicht nur ihre Einsicht in diese Dialektik unter Beweis gestellt, sondern vor allem ihre Fähigkeit zur Armut und zur (richtig verstandenen) Entweltlichung. Rahners skeptische Diagnose ist dadurch leider nicht widerlegt, da auch diese Bischöfe die notwendige Bewußtseinsänderung in der gesamten Kirche nicht entscheidend beschleunigen konnten. Um so wichtiger ist es, an sie zu erinnern: "Die Unterzeichner des Katakombenpaktes von 1965 haben durch Tat und Wahrheit bewiesen, daß eine andere Kirche möglich ist."25

Konsequente Entweltlichung?

Wenn der Forderung nach der Entweltlichung der Kirche und damit ihrer Lösung von materiellen und politischen Bindungen Taten folgen sollen, führt auf der Basis des Ausgeführten wohl kein Weg daran vorbei, zumindest einige der Selbstverpflichtungen aus dem Katakombenpakt umzusetzen. So wäre es ohne größere verfassungsrechtliche Klärungen für Bischöfe möglich, die Lebensweise der Menschen um sie herum zu teilen, nicht als Reiche zu erscheinen bzw. sogar reich zu sein oder mit Titeln angeredet zu werden, die auch oder vor allem gesellschaftliche Bedeutung oder Macht ausdrücken.

Denn diese Selbstverpflichtungen zielen nicht darauf, Macht, Ehre oder Besitz als solche zu verteufeln - hier ist Erzbischof Zollitsch zuzustimmen, sie seien nicht als solche verwerflich, "allerdings dann, wenn ich sie nur für mich selbst gebrauche"26 -, sondern sie einerseits als Instrumente zu verwenden und entsprechend zu behandeln und anderseits den Dienstcharakter der Kirche und ihr Zugewandtsein besonders zu den Armen herauszustellen. Gerade mit Blick auf diesen Auftrag der Kirche in der Welt stellt sich die Frage, ob der Begriff der Entweltlichung so glücklich gewählt ist oder nicht eher von einer Verweltlichung gesprochen werden sollte:

"Nicht Entweltlichung der Kirche ist gefordert, sondern die nicht mit einer Anpassung an das Faktische zu verwechselnde Verweltlichung einer Kirche, die sich in der Verantwortung sieht für Gerechtigkeit, sogar noch für die Toten und die Opfer der Geschichte, wissend darum, daß hier die Grenze des Menschenmöglichen erreicht ist."27

Entsprechend impliziert dies nicht notwendig den Verzicht auf die Erhebung von Kirchensteuern oder auf Staatsleistungen - so sehr im Einzelfall überprüft werden sollte, ob und inwiefern sie (noch) berechtigt sind -, sondern lenkt den Blick vor allem auf den Umgang mit den der Kirche auf diese Weise zur Verfügung stehenden Finanzen: Werden diese beispielsweise für den Dienst der Kirche an den Menschen oder für angemessene und gerechte Löhne, insbesondere am unteren Ende der Skala, eingesetzt und nicht für repräsentative Dienstwagen, Gebäude oder ähnliches, die den Eindruck einer reichen Kirche nur verfestigen, drückt dies nicht nur die Bereitschaft zum Verzicht zugunsten der Armut, die nicht sein soll, aus, sondern auch die Bereitschaft, gerechte Strukturen nicht nur zu fordern, sondern auch selber umzusetzen.

Selbstverständlich betrifft die Forderung nach Entweltlichung bzw. einer solchen Verweltlichung der Kirche nicht nur diejenigen, die einen besonderen Dienst in der Kirche ausüben, sondern alle Gläubigen - aber gerade den Hirten kommt die Aufgabe zu, mit gutem Beispiel voranzugehen, und gerade sie sind es, die im Fokus der Aufmerksamkeit "der Welt" stehen:

"Die Kirche muß nicht unbedingt arm sein; aber apostolische Einfachheit und etwas franziskanischer Geist stehen ihr gut an und können sie neu glaubwürdig machen."28

Kardinal Walter Kasper nennt explizit einen Rückbau des im Vatikan weiterhin üblichen höfischen Stils oder die Privilegien des Vatikans als souveräner Staat. Wie missionarisch könnte eine Kirche sein, in der Papst und Bischöfe - bzw. in anderen Kirchen ihnen entsprechende Amtsträger - nicht als reiche Prälaten oder Kirchenfürsten erscheinen und wahrgenommen werden, sondern sich entsprechend der Forderung nach Entweltlichung von ihren materiellen Bindungen lösten und eventuell sogar dem Katakombenpakt verpflichteten?

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