Mit allen Sinnen glaubenÜberlegungen zur Auferstehung des Fleisches

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um das Eröffnungsreferat ("joint lecture") "To Believe with All Your Senses: Resurrection of the Body" auf dem 60. Jahreskongreß der "Catholic Theological Society of America" in Saint Louis/Missouri (USA) am 9. Juni 2005. Der Charakter des Dialogvortrags wurde beibehalten.

Die Redaktion

Jürgen Moltmann: John Updike hatte Recht, als er in seinem Buch "Roger's Version" (1986) schrieb: "Die Auferstehung des Fleisches ist die ausdrücklichste und innerste der orthodoxen Doktrinen, wenn auch in unserer derzeitigen Glaubensdämmerung die am schwierigsten zu akzeptierende." Wir wollen versuchen, ein wenig Klarheit in die gegenwärtige Glaubensdämmerung an diesem Punkt zu bringen.

I. Der Körper

Elisabeth Moltmann-Wendel: Auferstehung des Körpers? Ich habe dazu einige Fragen: Auferstehung ist das zentrale Thema christlicher Theologie. Unter dieser Vorstellung sammeln sich aber unterschiedlichste Wünsche und Bilder wie Hoffnung auf ein Reich Gottes, Unsterblichkeit der Seele, ein Leben nach dem Tod und ein Wiedersehen mit den vorausgegangenen Toten. Nach einer in Deutschland gemachten Umfrage "gibt es einen weitverbreiteten Glauben daran ..., daß ein anderes bzw. nächstes Leben kommen wird" (Klaus-Peter Jörns). Solcher Glaube habe sich allerdings von der Dogmatik gelöst. Entscheidend sei das "Daß", nicht das "Wie" dieser Lebensperspektive. Doch wenn wir genau zusehen, dann ist das zentrale Thema der christlichen Theologie nicht einfach "Auferstehung", sondern "Auferstehung des Leibes": So finden wir es in der paulinischen Theologie, so ist es in die Dogmatik übergegangen, so finden wir es in unserem Glaubensbekenntnis.

Und so ist Auferstehung für viele Christinnen und Christen zu einem Problem geworden. Körper sind uns in Schönheit und Schrecklichkeit täglich gegenwärtig, Körper sind nicht verhüllt, nicht verborgen, nicht mehr tabuisiert. Durch die Medien sind wir täglich mit einer Fülle von Bildern toter, ermordeter, ertrunkener, vergewaltigter Körper konfrontiert. Können wir dagegen die Auferstehung des Leibes setzen?

Durch die moderne Industrie ist die chirurgische und ästhetische Verwandlung unserer Körper möglich. Hat das etwas mit der Auferstehung des Leibes zu tun? Körper lassen sich ausschlachten. Körperteile sind transplantierbar. Im menschlichen Körper schlummern scheinbar noch ungekannte Möglichkeiten, Leben zu verlängern. Auf der anderen Seite hat eine ganzheitliche Sicht des Menschen uns wieder klargemacht, daß der Körper nicht nur ein leibliches Gehäuse eines höher zu bewertenden Geistes ist, sondern ein eigenständiges Organ, womit wir erfahren und denken. Körper mit ihren Schrecken, mit ihren Möglichkeiten, mit ihrer Schönheit drängen danach, die Auferstehung des Körpers neu zu bedenken.

Kann es denn noch um diese Körper gehen, die uns entsetzen, die Wissenschaft und Phantasie anregen, die uns sensibel denken lassen? Was könnte es heute heißen, an die Auferstehung des Körpers zu glauben?

Jürgen Moltmann: Auferstehung des Körpers? Ich bringe ein paar Erinnerungen an die christliche Tradition. Denn bevor wir nach Antworten auf Deine Frage nach der gegenwärtigen Bedeutung der Auferstehungshoffnung für den Körper suchen, wollen wir zurückblicken und uns fragen, was sich unsere Kirchenväter und -mütter dabei gedacht haben, dieses schwer verständliche, aber aufregende Wort über die "Auferstehung des Fleisches" in das apostolische Glaubensbekenntnis einzufügen.

1. Ich glaube, ein erster Grund liegt in der allgemeinen Tendenz aller biblischen Aussagen über das Ziel aller Absichten Gottes. "Alle Wege Gottes enden in der Leiblichkeit", erklärte Friedrich Ch. Oetinger, und ich füge hinzu: auf dieser Erde. Gott schuf sein Ebenbild männlich und weiblich aus der Erde. Wir sind irdische Geschöpfe. Gottes Wort und Weisheit wurde "Fleisch" und wohnt unter uns auf dieser Erde. Gott gießt seinen lebendigmachenden Geist aus "auf alles Fleisch" auf dieser Erde. Wie kann die Geschichte Gottes mit uns sterblichen Wesen nicht in der Auferstehung des Fleisches und im Ewigen Leben enden? Im christlichen Glauben geht es nicht um Vergeistigung, sondern um Verleiblichung, nicht um die Sublimierung der Sinne, sondern um ihre Erweckung. Es geht um die Verleiblichung des ganzen Lebens und das Leben der Erde, auf der nach Gottes Verheißung Gerechtigkeit wohnen wird. Darum: Das Leben muß gelebt werden!

2. Im einzelnen: Die Frage, wie "Auferstehung des Fleisches" verständlich zu übersetzen ist, hat viele verwirrt. Warum? Weil wir im Westen alle irgendwie Platoniker im Denken und Fühlen sind und unser Christentum oft nur einen "Platonismus fürs Volk" darstellt, wie Friedrich Nietzsche spottete. "Resurrectio carnis" ist das lateinische Wort. Der Kirchenvater Tertullian († nach 212) hat eine berühmte Abhandlung darüber geschrieben, in der er "das Fleisch" zum "Schlüssel des Heils" erklärte: "Caro cardo salutis". Die Übersetzung mit "Fleisch" war für manche wohl etwas peinlich und für andere zu mißverständlich. Sie übersetzten im Englischen mit "body", deutsch mit "Leib", weil das persönlicher klingt. Zuletzt einigten sich die katholische und evangelische Kirche auf "Auferstehung der Toten". Das klingt ganz persönlich wie "die Lebenden und die Toten". So haben wir es jetzt im Glaubensbekenntnis. Aber ist damit dasselbe wie zu Tertullians Zeiten gemeint? Ich glaube nicht. Gehen wir auf die hebräische Wurzel von "alles Fleisch" zurück: "kol'basar", dann finden wir, daß "alles Lebendige" gemeint ist, so wie Noahs Bund mit "euch, euren Nachkommen und allen lebendigen Wesen" geschlossen wurde (Gen 9,9-10). In unseren Zusammenhang gestellt heißt das: Menschen werden zusammen mit allem Lebendigen im Lebensraum dieser Erde auferweckt werden. Wir werden mit dieser Erde, nicht von ihr erlöst werden. Der Apostel Paulus wußte das, als er "das Seufzen der ganzen Kreatur" hörte, "die sich mit uns sehnt", die wir "auf des Leibes Erlösung warten" (Röm 8, 19.21-23).

3. Wie wäre es, wenn wir sagen würden "Auferstehung des Lebens", statt des Fleisches oder des Leibes oder des Körpers? Mit dem lebendigen, menschlichen Körper meinen wir ja nicht den entseelten Leib als Objekt, auch nicht den wissenschaftlich objektivierten Körper oder die medizinisch behandelten Organe, sondern den erfahrenen und gelebten Leib, mit dem ich spontan identisch bin. Ich bin Leib - dieser Leib bin ich. Das ist nicht der manipulierte Leib mit Body-Building und Face-Lifting, es ist meine individuelle Gestalt und Lebensgeschichte.

4. Aber was soll hier "Leben" heißen? Leben bedeutet in diesem Zusammenhang das gelebte, nicht das ungelebte Leben; das geliebte, nicht das ungeliebte Leben; das bejahte und angenommene, nicht das verneinte und abgelehnte Leben. Wirkliches Leben ist identifizierte Leiblichkeit, ungelebtes Leben ist entfremdete Leiblichkeit. Ich schlage vor, über die Auferstehung des gelebten Lebens zu sprechen. Damit würden wir auch den Tod als Teil des Lebens akzeptieren und an den Sieg des Lebens über den Tod glauben. Wir können dann bejahen, daß Ewiges Leben im Leib gelebt werden wird: "Der Körper wird auferstehen, alles vom Körper, der identische Körper, der ganze Körper", wie Tertullian behauptete

Die neue holistische Sicht der menschlichen Körperwelt verdanken wir einmal der psychosomatischen Medizin, dann der ökologischen Philosophie und nicht zuletzt der feministischen Theologie - die uralte, aber immer noch erstaunliche "Theologie des Fleisches" von Tertullian zeigt Langzeitwirkung, nicht nur auf John Updike.

Elisabeth Moltmann-Wendel: Aber ich muß noch mal kritisch zurückfragen. Ich kann generell zustimmen, aber ich sehe zuerst einen wichtigen Unterschied: Wie verstehen Männer und wie verstehen Frauen das Leben? Wie erfahren Frauen ihren Leib, und wie erfahren Männer ihren Leib? Bei genauerem Hinsehen merken wir, daß die Körpervorstellungen sich an den Körpererfahrungen derjenigen ausrichteten, die die öffentliche und theologische Meinung bestimmten, und das waren Männer. Der weibliche Körper mit seinen Fähigkeiten zu gebären, mit seinen Rhythmen, blieb belastet durch antike Vorstellungen, zeitweilig unrein und allgemein verführerisch, schwächer als der männliche Körper und unzuverlässig zu sein.

Bei aller körperlichen Akzeptanz, die das Christentum leistete - es blieb ein Mißtrauen und eine Abwehr bestehen, die sich immer wieder auf Augustinus († 430) berufen konnte. Diese Abwehr mußte immer wieder nach dem starken Arm der Kirche und des Staates rufen, um diese fragwürdigen Körper zu kontrollieren. Durchs ganze Mittelalter zieht sich die augustinische Tradition hin, daß die Gottesebenbildlichkeit erst da ansetzt, "ubi sexus nullus est" - also jenseits des Körpers in der obersten Geistspitze. Reste solchen Denkens finden sich noch in den Argumenten für die Verweigerung des Priesterinnenamtes der Frau. Hildegard von Bingens († 1179) Versuche, das "Weibliche als Urmodell des heilen und ganzen Menschseins" zu verstehen, werden erst in der Gegenwart wieder gehört.

So blieb das Bekenntnis zur Auferstehung des Leibes doch eine ambivalente und einseitige Angelegenheit. Erst durch die Frauenforschung und die Feministische Theologie wurden die katastrophalen, Frauen in ihrer Gottesebenbildlichkeit diskriminierenden Traditionen in der Öffentlichkeit bekannt. Der Körper trat neu ins Zentrum der Theologie. Aber es war nicht der reine, schöne, integre Körper, sondern der geschundene, vergewaltigte, ausgebeutete Körper - vor allem Körper von Frauen, aber auch Körper von Männern. Aus der "Erlösung vom Leib" wurde für viele Christinnen und Christen die Befreiung des Leibes, und das bedeutet nicht nur einen Wortwechsel, sondern einen Paradigmenwechsel mit großer Tragweite.

Nicht in Endzeit und Ewigkeit, nicht durch eine Auferstehung am Jüngsten Tag soll eine neue Leiblichkeit entstehen, nicht die Erlösung von einem sündigen Leib, dem "sündigen Körperlein", war das Ziel theologischen Redens und Handelns, sondern die schon hier stattfindende Befreiung des Körpers von Gewalt und Ausbeutung.

Der gesellschaftlichen Analyse entsprach die psychologische Situation: Wurde der Körper jahrhundertelang unter der Kontrolle von Geist und Wille gesehen, so trat nun der mündige Körper ins Zentrum neuen theologischen Denkens. Der Körper als Gottes gute Schöpfung, dem frau und man nicht mißtraut, sondern vertraut, mit dem wir erfahren, in dem wir den anderen begegnen, mit dem wir fühlen und denken. Befreiende Theologie begann in den gesellschaftlichen, aber auch in den psychologisch-patriarchalen Hierarchien die Sünde in und an der Schöpfung Gottes, in den Erniedrigten und Beleidigten, zu sehen.

Wenn wir heute über Körper sprechen, dann sollten wir immer fragen: Ist es auch der Körper, der gebiert, in dem Leben wächst und in dem auch Leben sterben kann? Ist es der Körper, der nicht nur jung, schön und dynamisch ist, sondern auch behindert, krank und gebrechlich? Ist es der Körper, mit dem wir lieben, den anderen begegnen, den Alltag bewältigen, fühlen und denken? Kein Gehäuse unseres Geistes und unserer Seele, sondern Kraftfeld unseres Lebens? Erst wenn wir dies vor Augen haben, können wir über eine "Auferstehung des Lebens" sprechen.

II. Auferstehung

Jürgen Moltmann: "Vita mutatur non tollitur" heißt es in der katholischen Totenpräfation: "Unser Leben wird gewandelt, nicht genommen (zerstört)". Wir wollen versuchen, diese neuen Körpererfahrungen mit den alten Hoffnungssymbolen der "Auferstehung" zu verbinden. Ich beginne zur Abwechslung mit einem Sprung in die dogmatische Theologie.

Die Vorstellung von einer "Auferstehung der Toten" setzt immer ihren Tod voraus und ist eindeutig leibliche Auferstehung, wenn wir die hebräischen Wurzeln ernstnehmen. Statt "Auferstehung" kann Paulus auch "zoopoiesis" sagen und das Lebendigmachen der sterblichen Leiber durch den Auferstehungsgeist, der in ihnen "wohnt", meinen (Röm 8,11). Er kannte den besonderen Charakter des lebengebenden, weiblichen Körpers, als er schrieb: "Die ganze Schöpfung seufzt und leidet mit Geburtsschmerzen bis heute ... wir selbst seufzen in uns und warten auf des Leibes Erlösung" (Röm 8,22f: meine Übersetzung). In 1 Kor 15, 51 nennt er denselben Vorgang "Verwandlung", und in Phil 3, 21 soll unser nichtiger Leib dem "verklärten" Leib des auferstandenen Christus ähnlich werden. Sprechen wir von "Auferstehung", dann denken wir an den vorausgesetzten Tod. Denken wir an "zoopoiesis", dann meinen wir das gelebte Leben. "Transformation" setzt Leben als "forma corporis" (Thomas von Aquin) oder "geprägte Form, die lebend sich entwickelt" (Goethe) voraus. "Transfiguration" nimmt die Verklärung in der Schönheit des göttlichen Lebens vorweg.

Es entsteht nach diesen alten Vorstellungen kein anderes Leben, sondern dieses gelebte, geliebte und sterbliche Leben wird anders: Es wird geheilt, versöhnt und vollendet und findet darin zu seiner göttlichen Bestimmung, denn "Gott hat den Menschen zum ewigen Leben geschaffen" (Weish 2, 23). Der Tod ist die Gewalt der Trennung, Auferstehung ist die Macht der Vereinigung des Getrennten.

Wann soll das geschehen? "Auferstehung der Toten" ist ein universales, eschato­logisches Symbol. Alle Toten sind gemeint, und die Vernichtung des Todes selbst ist das kosmische Äquivalent zu dieser personalen Vorstellung: "Und der Tod wird nicht mehr sein" (Offb 21,4). Für den christlichen Glauben ist Auferstehung ein Prozeß, der mit der Auferstehung Christi "von den Toten" begonnen hat, im leiblich einwohnenden Geist, der lebendig macht, fortschreitet und im "eschatologischen Augenblick" (1 Kor 15,52) vollendet wird.

Wann tritt dieser "eschatologische Augenblick" ein, in dem alle Toten zum Ewigen Leben auferstehen sollen? In diesem Augenblick bricht die Ewigkeit in die Zeit ein, und vor der Ewigkeit sind alle Zeiten gleichzeitig:

"Vor Gottes Angesicht ist keine Rechnung der Zeiten ... Darum ist ihm der erste Mensch Adam so nahe wie der zuletzt wird geboren vor dem jüngsten Tag, denn Gott sieht die Zeit nicht nach der Länge, sondern nach der Quere", hatte Martin Luther erklärt.

Das aber heißt umgekehrt: Alle Todesstunden der Menschen reichen an diesen "eschatologischen Augenblick" heran. Wann also soll die Auferstehung der Toten geschehen? Antwort: Unmittelbar nach dem Tod jedes einzelnen - "Heute wirst du mit mir im Paradies sein." Das ist die Lehre von der "Auferstehung im Tod". Die Vollendung des Menschen nach Leib und Seele tritt mit dem Tod unmittelbar ein. Die Auferstehung der Toten ereignet sich im Augenblick der Ewigkeit gegen den vergänglichen Lauf der Zeit vom letzten bis zum ersten Moment wie ein Blitz gleichsam, der alles synchron erleuchtet, was nacheinander im Lauf der Zeit geschehen ist. Diese Vorstellung wird heute auch von katholischen Theologen vertreten und ist nach Karl Rahner keine Häresie. Das ökumenische Glaubensbuch (1973) sagt: "Die individuelle Auferstehung von den Toten erfolgt mit und im Tode."

Damit kommen wir auf die Frage zurück: Was wird auferweckt, versöhnt, verwandelt und verklärt? Wir antworten: Es ist dieses ganze, gelebte und geliebte Leben und in ihm vor allem die ursprüngliche Lebenskraft, die Paulus in Röm 8, 11 den "einwohnenden" Auferstehungsgeist Gottes nennt, womit übrigens eine Erinnerung an die jüdische Schechina-Theologie verbunden ist: Im gelebten Augenblick erfahren wir göttliche Kraft in uns. In der Hingabe an dieses Leben nehmen wir an der Liebe Gottes zur Welt teil. Daraus wird, wie wir hoffen, neues ewiges Leben hervorgehen.

In welchem Lebensalter werden wir auferstehen? Das ist eine merkwürdige Frage. Was antworten wir? Meine Antwort lautet: in allen Lebensaltern, sie werden in der Ewigkeit einander gleichzeitig. In Todesnot haben Menschen so etwas ähnliches erfahren: Ihr ganzes Leben trat ihnen wie im Zeitraffer in einem Moment vor Augen. Werden wir zu Engeln werden? Nein, wir sind Erdgeschöpfe und in der Auferweckung wird dieses irdische und sterbliche Leben hier verklärt. Also bleiben auch die Geschlechtsunterschiede, in denen wir geschaffen sind, bestehen. Kommen wir dann in den Himmel? Nein, wir sind keine Engelsanwärter, sondern Erdgeschöpfe und warten mit unserer Auferstehung zugleich auf "die neue Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt" (2 Petr 3,13). Das Ewige Leben, auf das wir persönlich hoffen, ist nicht ortlos, es hat seinen Ort nicht im Himmel, sondern im "Leben der zukünftigen Welt", wie es im Nicaenum heißt. Ich persönlich denke: Wir werden erlöst, wenn wir bei unserem Namen gerufen werden, wie es in Jes 43,1 heißt, und aufstehen. Mit dem Namen ist unsere Person, unsere ganze Lebensgeschichte und unsere gelebte Gemeinschaft bezeichnet.

Elisabeth Moltmann-Wendel: Ich muß Deine dogmatischen Erörterungen noch einmal unterbrechen und nach dieser "Kraft diesseits des Todes" fragen: Wie sieht sie aus? Sie ist viel zu wenig beachtet worden. Wenn wir sie nicht in unser Ewigkeitsdenken einbeziehen, gehen wir auch an dem Sinn der Ewigkeit vorbei. Denn inzwischen hat sich das Gewicht bisheriger theologischer Aussagen dramatisch verschoben: In der Befreiungstheologie und in der Feministischen Theologie wurde "Auferstehung" als Aufstehen und als Aufstand verstanden.

In einer Frauengruppe rätselten wir einmal, was denn dieser schwergewichtige Begriff "Auferstehung" uns in unserem Kampf gegen ungerechte Strukturen sagen könnte, als eine kleine ältere Frau aufstand und sagte: "Ich stehe auf - das ist Auferstehung!" Aufstehen gegen Sexismus und Rassismus, Aufstehen aus eigener Verkrümmung und falschen Schuldgefühlen! Was traditionell als Auferstehung verstanden worden war, geriet in den Verdacht, eine Vertröstung auf eine bessere Welt zu sein oder ein Narkotikum, um den Problemen der Gegenwart zu entfliehen. Doch jetzt kam Auferstehung in den Alltag und in die soziale Wirklichkeit zurück!

Biblische Heilungsgeschichten gaben dafür einen plastischen Hintergrund ab: Das Aufstehen und das Sich-Aufrichten aus Krankheit, wie es zum Beispiel von der Jairus-Tochter (Mt 9,25) und von der Schwiegermutter des Petrus (Mt 8,15) ausgesagt wird ("egeirein"), ist dasselbe Wort, das für die Auferstehung Jesu (Mk 16,6) benutzt wird. Das Martha-Bekenntnis in der Geschichte der Auferweckung des Lazarus betont in einzigartiger Weise - im Unterschied zu dem traditionellen Petrusbekenntnis -, daß "Christus der Sohn Gottes in den Kosmos gekommen" ist. Die "dynamis", die Lebensenergie Gottes, ist schon hier heilend tätig. Schon hier beginnt Ewiges Leben im Menschen, der zur Quelle des Lebenswassers Gottes wird (Joh 4,14).

Aus solcher Sichtweise begannen Feministische Theologinnen eigene Akzente zu setzen. Für Carter Heyward war die Auferstehung nun nicht mehr ein "Ereignis im Leben Jesu, sondern im Leben seiner Freunde". Für Elisabeth Schüssler Fiorenza gibt es zwei Versionen von Auferstehung im Neuen Testament: Nach der einen, der traditionellen (männlichen), ist Jesus zum Himmel aufgefahren und sitzt zur Rechten Gottes, und diese Botschaft wird von den Autoritäten weiter vermittelt. Die weibliche Version ist die, daß das Grab leer ist, den Frauen aber gesagt wird, daß er nach Galiläa vorausgegangen ist und sie ihn da sehen werden. Nachfolge heißt, den Auferstandenen in den "kleinen Leuten" und ihren Lebenskämpfen wieder finden, wo er gegenwärtig ist.

Daß es ein Leben vor dem Tod gibt, daß Auferstehung diesseitig zu verstehen ist und geprägt ist von einem leidenschaftlichen Kampf um soziale Gerechtigkeit, wurde zum Tenor der Feministischen Theologie. Doch die Frage ist heute: Genügt diese Sichtweise? Blendet sie nicht Ängste und Hoffnungen aus? Reduziert sie nicht den Menschen auf Wille, Verstand und Kraft? "Was nützt mir die Feministische Theologie jetzt?", fragte die krebskranke Innsbrucker Theologin Herlinde Pissarek-Hudelist (1932-1994) am Ende ihres Lebens. Sie antwortete drastisch: "Einen Dreck!" Wie kann die Kraft zum Leben zu einem Trost im Sterben werden?

Jürgen Moltmann: Auferstehungshoffnung ist in der Tat eine Kraft zum Leben "vor dem Tod", denn sie macht bereit, sich mit allen Kräften und Sinnen auf dieses Leben einzulassen, aus sich herauszugehen und das Leben rückhaltlos und ganz zu lieben. Aber was heißt das für Sterbende und Trauernde? Ich möchte den Trost über den Tod hinaus so verstehen: Wenn man den Tod geliebter Menschen erlebt, ist es ein Trost, sie im Ewigen Leben zu wissen, mit ihnen im Leib Christi verbunden zu bleiben und mit einer zuversichtlichen Hoffnung zu trauern. Wenn Menschen nicht leben können oder nicht leben dürfen, das Kind stirbt, der Freund von der Bombe zerrissen wird, Leben abgebrochen, getötet, ruiniert oder vom Krebs zerfressen wird, ist es ein Trost, darauf zu vertrauen, daß Gott das gute Werk, das er mit der Geburt begonnen hat, auch vollenden wird, und daß der Tod ihn nicht daran hindern kann, denn Gott ist Gott. Von uns aus gesehen, ist der Tod ein Ende, ein Abbruch, ein Verlust, eine Vernichtung. Von dort her gesehen aber ist jeder Tod eine Verwandlung und ein Übergang in das Ewige Leben. Todgeweihte Kinder im Konzentrationslager Theresienstadt haben die vielen Bilder von den Raupen und den Schmetterlingen gemalt, die heute im jüdischen Museum in Prag zu sehen sind. Die arme Raupe bricht aus ihrer Verpuppung aus und fliegt als ein schöner Schmetterling davon in jenen "weiten Raum, in dem keine Bedrängnis mehr ist" (Hiob 36,16). Von uns aus gesehen ist der Tod das Ende des Lebens, von dort her gesehen aber ist das Leben das Ende des Todes: "Der Tod ist verschlungen in den Sieg des Lebens" (1 Kor 15, 55).

Wir kommen damit auf die Lebenskraft der Auferstehungshoffnung zurück: Wer das Leben im Licht der göttlichen Liebe liebt, wird glücksfähig. Alle seine Sinne werden wach und öffnen sich für die Schönheit dieses Lebens. Er wird damit aber auch leidensfähig und empfindet die Schmerzen und die Enttäuschungen des Lebens. In letzter Konsequenz wird der das Leben Liebende von innen heraus lebendig und von außen verletzbar und sterblich zugleich. Was Leben und Tod eigentlich sind, wird von uns an der Liebe erfahren. Man kann leicht die Gegenprobe machen: Wer die Liebe zum Leben verliert, wird teilnahmslos und gleichgültig. Er geht an der Welt vorüber, als wäre sie nichts. Er erstarrt bei lebendigem Leib. Das nannte man früher "die toten Seelen", heute sollen es "Zombies" sein, wandelnde Leichname.

Abgelehntes, ungeliebtes, verneintes Leben ist versäumtes und totes Leben. Was wir darin erfahren, ist der Tod vor dem Leben. Das kommt im biblischen Bild vom Samenkorn gut zum Ausdruck: Wenn das Samenkorn nicht ausgesät wird und in die Erde gepflanzt wird, "bleibt es allein" (Joh 12, 24). Es verdorrt und verliert seine Lebenskraft. Das ist der Tod vor dem Leben, ein hoffnungsloser Tod. Das ist das ungelebte, unfruchtbare, verweigerte Leben.

III. Erfahrung und Hoffnung der Auferstehung

Elisabeth Moltmann-Wendel: Auch ich möchte die Hoffnung auf ein Leben in einer zukünftigen Welt nicht aufgeben, wie es manche Frauen heute tun. Sie hat Christinnen und Christen zwei Jahrtausende lang begleitet. Sie hat ihnen für ihre Gegenwart Mut und Stabilität gegeben und im Tod Vertrauen und Hoffnung. Aber ich möchte nicht mehr den Tod "als der Sünde Sold" verstehen, was das gerade wiederentdeckte Leben seiner Fülle und Vielfalt beraubt, was niederdrücken und lähmen konnte und noch immer kann. Ich möchte sehen, ob die Kraft die uns hier heil machen will, auch hinübergenommen werden kann in eine andere Existenz.

Ansetzen möchte ich deshalb bei unserem Geborensein, unserer Natalität. Es ist ein Gedanke der jüdischen Philosophin Hannah Arendt, die anstelle unseres "Geworfenseins" (Martin Heidegger) die Vorstellung setzt, daß wir Geborene sind: einmalig und einzigartig in unserer Existenz und voller Möglichkeiten, Initiative zu ergreifen. Traditionell sind Christen und Christinnen fixiert auf die Sterblichkeit. Wenn wir umkehren und uns auf unseren Anfang, unser Geborensein besinnen, kehren wir auch zu Gottes Lust an uns und seiner Schöpfung zurück. Das kann auch den Blick auf Tod und Ewigkeit verändern.

Ich nehme Dein Wort von der "Transformation" auf und frage: Wie kann ich das erfahren? Ich möchte bei der Diesseitigkeit unserer Erfahrungen ansetzen und fragen: Welche Erfahrungen gibt es hier und heute, die über unser Leben hier und heute hinausreichen? Ansetzen möchte ich dafür bei dem so lange in der Christen­heit diffamierten Körper als neues Muster einer Perzeption.

Hilfreich sind für mich dabei die Auferstehungsvorstellungen einiger Theologinnen aus der Dritten Welt. Auch für sie ereignet sich Auferstehung in der Gegenwart, aber die Bilder, die sie dafür gebrauchen, sind nicht nur fixiert auf den Befreiungskampf. So sieht Virginia Fabella (Philippinen) einen Garten vor sich, in dem Maria Magdalenas Begegnung mit Jesus stattfindet, und verbunden damit sind Sinnenfreude, Schönheit, der Kosmos - Anklänge ans Paradies. So weitet sich das zuweilen etwas zu kämpferische Auferstehungserleben westlicher Christinnen um ästhetische Kategorien. Es wird ein Raum anvisiert, den ich nicht schaffe, der mich aber umhüllt und sein läßt.

Auch individuelle Hoffnungen, die Worte "Glück" und "Vergnügen" haben hier ihren Platz. Auferstehung meint sowohl den individuellen als auch den sozialen Körper, und beide haben ihren Platz im Kosmos. Angesichts solchen wiederentdeckten Körpers möchte ich von Auferstehung in die Sinne sprechen. Erinnern wir uns an die Begegnung Maria Magdalenas mit dem auferstandenen Jesus: Sie hält ihn für den Gärtner, und erst, als sie seine Stimme hört, die sie bei ihrem Namen nennt, erwachen ihre Sinne, und sie erkennt ihn. Durch unseren Körper und seine sensibel gemachten Sinne können wir andere Dimensionen von Raum und Zeit erfahren, können wir Auferstehung erleben. In unserer Leidenschaft für das Diesseits und das Leben darin vernehmen wir die leisen Töne einer Transzendenz, bleiben wir geöffnet für neue Räume und neue Zeiten. Mit Sinnen aufstehen läßt uns jeden Tag neu erleben, jeden Augenblick anders erfahren, anders sehen, lustvoll schmecken und unterschiedlich erfassen, läßt uns teilhaben an Gottes Schöpferkraft.

Für mich bleibt auch in und nach der Auflösung meines Körpers ein Samen, ein Urmodell der Schöpferkraft Gottes bestehen. Es enthält etwas von mir selbst, meiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit, die nicht vergessen wird. Wie wir uns in unserer Lebenszeit noch eine Weile an Menschen und ihre Besonderheit erinnern, so tut es Gott in Ewigkeit. Dieses Samenkorn birgt meine Geschichte, die für mich ein Stück Körpergeschichte ist. Ein Körper, dessen Merkmale nicht Sünde und Vergänglichkeit sind, sondern der alle Erfahrungen von Schmerz und Glück, von Verfehltem und Gelungenem, von Trauer und Leidenschaft birgt. Meine Hoffnung ist, daß wir mit einem verwandelten Körper, einem Leib auferstehen werden, der unsere Geschichte erzählt, der getröstet und geheilt wird von allen Unzulänglichkeiten und der mit allen Sinnen ausgerichtet ist auf die Gemeinschaft mit allem Lebendigen.

Jürgen Moltmann: Der verklärte Leib des Ewigen Lebens. Vielleicht hilft es uns, wenn wir noch einen großen Schritt machen und nach Vorstellungen von der Ewigkeit fragen. Es ist nicht leicht, sich begründete Vorstellungen vom Ewigen Leben zu machen, zu leicht werden sie zu Spekulationen und dann ganz irrelevant für das Leben hier. Wir leben jedoch in der Zeit, und mit der Zeiterfahrung ist die Vorstellung von der Ewigkeit schon gegeben. Wir leben aus einer ursprünglichen Lebenskraft und mit ihr ist unbeschränkter Lebenswille schon verbunden. "Denn alle Lust will Ewigkeit/will tiefe, tiefe Ewigkeit", dichtete Friedrich Nietzsche. Auf der Suche nach dem zeitlichen Begriff der Ewigkeit stehen wir vor der Frage: Plato oder Boëthius?

Nach Plato erfahren wir Zeit als die bewegte Folge flüchtiger und unwiederbringlicher Momente des Lebens. Das ist Zeit als "chronos" - nach griechischem Verständnis ein Bruder des Todes: "thanatos". Vergängliche Zeit ist mithin als Zeit des Todes zu verstehen. Ist Zeit das Vergängliche, dann ist Ewigkeit als Gegensatz zu ihr als das Bleibende zu verstehen, wie Augustinus schlußfolgerte (Confessiones XI). Paulus verschärft den Gegensatz von Zeit und Ewigkeit dadurch, daß er von dem Verweslichen hier und dem Unverweslichen dort spricht (1 Kor, 15,53). Die vergängliche Zeit ist der Prozeß des Sterbens der Lebendigen und der Verwesung der Toten. Wendet man diesen Gegensatz von Zeit und Ewigkeit auf das "Ewige Leben" an, dann läßt sich zwar die Negation der Zeit denken, nicht aber ein zeitloses Leben. "Ewiges Leben" wird darum oft mit "ewiger Ruhe" und dem Todes"schlaf" gleichgesetzt. Auf Gott angewendet, macht dieser Ewigkeitsbegriff Gott zu einem toten, beziehungslosen Wesen, dem durch die Negationen des zeitlichen Lebens jedes Leben unmöglich gemacht wird.

Der Gott der biblischen Traditionen aber ist ein lebendiger Gott, der zu seinen irdischen Geschöpfen in zeitlichen Beziehungen steht. Sein Ewiges Leben ist lebendigmachendes, fruchtbares Leben. Darum bevorzugen christliche Theologen von Thomas von Aquin bis zu Karl Barth den Begriff der Ewigkeit, der von Boëthius stammt: "Aeternitas est interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio" - Ewigkeit ist der unbegrenzte, ganze, gleichzeitige und vollkommene (Besitz) Genuß des Lebens.

Auf Gott angewendet meint Gottes Ewigkeit dann Gottes unbegrenzte Lebendigkeit und seine unerschöpflich-schöpferische Lebensfülle. Auf Menschen angewendet bedeutet dieses dann unbegrenzte Lebendigkeit und vollkommene Lebensbejahung in der unbehinderten Teilnahme an der göttlichen Lebensfülle: "Durch die Natur bleiben die Menschen ganz menschlich in Seele und Leib, durch die Gnade werden sie ganz göttlich nach Seele und Leib", erklärte Maximus Confessor.

Wenden wir diesen Begriff der Lebensfülle auf die Erfahrung der Zeit an, dann wechselt die Perspektive: Wir blicken nicht in Trauer zurück auf die "verlorene Zeit", in die unwiederbringliche Vergangenheit und den ewigen Tod, der alles verschlingt, was mit der Zeit verschwindet. Wir blicken nach vorn in das ankommende Leben, in die anfängliche Zeit, in der sich die erfüllte Zeit des ewigen Lebens ankündigt. An die Stelle der Zeiterfahrung am Abend und im Abschied tritt die Zeiterfahrung am Morgen und in der Begrüßung. "Chronos" verschwindet, "Kairos" tritt an seine Stelle, denn "Kairos" ist ein Bruder des Lebens: "Zoe". Die leere Zeit wird zur erfüllten Zeit und das erfüllte Leben wird zum Vorgeschmack der ewigen Lebendigkeit ("aevum").

Wie sollen wir uns den verklärten Leib des Ewigen Lebens vorstellen und welche Relevanz hat diese Hoffnung für das täglich gelebte Leben hier? Nach alttestamentlicher Anthropologie ist der Geist Gottes, "ruah Jahwe", die Lebenskraft alles Lebendigen und damit auch der Menschen. Nach neutestamentlicher Anthropologie ist dieser Geist Gottes der "Geist des Lebens", der Krankes heilt und Totes lebendig macht und Leib und Sinne erfüllt. Diese Lebenskraft gewinnt ihre volle Stärke in der Auferweckung des Leichnams Christi zum verklärten Leib des göttlichen Lebens. Darum wird sie auch Auferstehungsgeist genannt und als Angeld der zukünftigen Herrlichkeit erfahren. Die Lebenskräfte dieses schöpferischen Gottesgeistes sind keine übernatürlichen Gaben, sondern "die Kräfte der zukünftigen Welt" (Hebr 6, 5). Sie kommen von vorn, nicht von oben, aus der Zukunft Gottes, nicht aus dem Himmel. Werden Leib und Sinne hier von diesen Kräften erfüllt, dann wird Leben geheilt, versöhnt und zurechtgebracht und wie eine "Neugeburt" oder eine "Neuschöpfung" erfahren: Es entsteht ein neuer Frühling des Lebens.

Elisabeth Moltmann-Wendel: Was heißt "Glauben an die Auferstehung des Leibes"? Vielleicht heißt es, Ewigkeit in unserer Zeit zu leben. Für mich bedeutet es: Wenn wir aufmerksam werden auf die verwandelnden Kräfte, die schon hier unser Leben verändern, die uns anders sehen, fühlen, hören, schmecken lassen, die auch die Arbeit für die Gerechtigkeit auf dieser Erde begleiten, dann können wir auch erwarten, daß solche Kräfte nicht mit unserem biologischen Leben zu Ende sind. Wie wir hier Abgestorbensein und Lebendigwerden, Tod und Leben, Gleichgültigkeit und Betroffenheit, Trauer und Einsatz erleben, so ist diese "Dynamis" Gottes, die über die Dimensionen unseres alltäglichen Lebens hinausreicht, auch nicht auf unser jetziges Dasein beschränkt. Wir können dem Schöpfersein Gottes zutrauen, daß es Energien gibt, die über unseren eigenen Lebenshorizont hinausreichen. Vielleicht sollten wir dafür auch die Erfahrungen von Frauen einbeziehen, die um die - auch medizinisch - immer noch wunderbare und geheimnisvolle Regeneration von Körper- und Lebenskräften wissen, die oft überraschend und stark sein können, und in denen das Überfließen der Energien in andere Lebensräume erfahrbar wird. Das ist eine weibliche Erfahrung der Schöpferkraft Gottes und auch ein Paradigma der Passion Gottes für das Leben, die Schmerz und Freude umfaßt.

An die Auferstehung des Leibes glauben heißt für mich: sich einzulassen auf die nie versiegende Schöpferkraft Gottes, der Mensch, Fleisch geworden ist; eine Schöpferkraft, die wir täglich in unserem Körper erfahren. Es heißt, mit allen Sinnen zu denken und zu erfahren, anderem zu begegnen und sich Fremdem auszusetzen. Es heißt aber auch, diesem Körper den Segen der Ruhe zu geben, auch einmal nichts zu tun und die "Gnade des Lebens, die Fähigkeit des Liebens anzunehmen" (Rubem Alves), um uns einzuüben in die Ruhe Gottes, die keine langweilige Stille ist, sondern erfülltes Glück.

Spiritualität des Körpers: "Compassion"

Jürgen Moltmann: Welche Spiritualität wir suchen und pflegen, hängt davon ab, welchen Geist wir suchen und erfahren. Ist es der Geist der Auferstehung Christi, dann ergreift er unser ganzes Leben und führt uns nicht nur zu einer Mystik der Seele, sondern auch zu einer Mystik des Körpers. Der Geist, der lebendig macht, befreit nicht nur die Seele von Bedrückungen und Traurigkeiten, sondern auch den Körper von Verspannungen und Vergiftungen, denn der Heilige Geist ist doch nicht nur auf das "Heil der Seele", sondern auch auf die Heilung des Körpers, also auf das Heil des ganzen Lebens ausgerichtet. Die ersten Erfahrungen des Geistes sind das ganze Ja zum Leben und neu erwachte Liebe zum vollen Leben.

Um dem Zynismus der Vernichtung des Lebendigen in der menschlichen und der natürlichen Welt heute zu widerstehen, müssen Menschen zuerst die wachsende Gleichgültigkeit der Herzen überwinden. Wir haben uns an das Sterben in der Natur so sehr gewöhnt, daß wir uns nicht mehr berühren lassen. Wir nehmen das Sterben ganzer Völker ohne große Aufregung hin wie seinerzeit in Ruanda, und das Sterben der Zivilbevölkerung in Kriegen nennen wir abschätzig "Kollateralschäden". Daß schreckliche Dinge passieren, ist schlimm. Aber daß wir uns so rasch daran gewöhnen, ist viel schlimmer! Die Spiritualität des geliebten Lebens durchbricht diese selbstgemachten Betäubungen (engl. "numbing"), der Panzer der Indifferenz des Herzens öffnet sich, die Gefühlskälte gegenüber fremdem Leiden verschwindet. Compassion ergreift uns. Wir können wieder lachen und weinen, wir empören uns und protestieren gegen das massenhafte Sterben. Wer das ganze Leben, nicht nur das eigene, sondern auch das andere, so zu lieben beginnt, widersteht den Todestrieben in sich selbst und den Mächten des Todes in seiner Gesellschaft und setzt sich für die Zukunft des Lebens ein. "Ihr liebt das Leben - wir lieben den Tod", schrieben die El-Qaida-Attentäter zum Massenmord in Madrid (11. März 2004). Was immer diese Islamisten lieben: Wir lieben das Leben - auch ihr Leben und wollen ihren Selbstmord so wenig wie ihre Massenmorde.

Du hast von einer "Auferstehung in die Sinne" gesprochen - ja: Die Spiritualität des Körpers hat auch eine sinnliche Seite. In einer großen Traurigkeit, nach dem Verlust eines sehr geliebten Menschen oder in einer Lebenskrise spüren wir, wie unsere Sinne erlöschen. Wir sehen keine Farben mehr, wir hören keine Melodien mehr, wir schmecken nichts mehr und unsere Gefühle sind wie abgestorben. Wir werden mehr oder weniger teilnahmslos und erstarren bei lebendigem Leib. Das ist "die dunkle Nacht der Seele", von der die spanischen Mystikerinnen und Mystiker sprachen. Erfahren wir dann im göttlichen Geist die unbedingte Liebe zum Leben wieder, dann erwacht in uns neue Lebenslust: Wir erkennen wieder die Schönheit dieser bunten Welt, wir hören wieder die Musik des Lebens, wir gewinnen wieder Geschmack, und Gefühle ziehen uns in die Welt hinaus. Unsere Sinne erwachen und wir nehmen am Leben teil.

Das ist die neue Sinnlichkeit, die zur Spiritualität des Körpers gehört. Das ist der Anfang der Auferstehung in uns, mit dem nach Hildegard von Bingen "der Frühling der ganzen Schöpfung" beginnt. Ich schließe mit dem bekannten Pfingsthymnus von Rabanus Maurus († 856):

"Entflamme Sinne und Gemüt,
daß Liebe unser Herz durchglüht
und unser schwaches Fleisch und Blut
in deiner Kraft das Gute tut."

Stimmen der Zeit (2005) 723-735

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